E. Schrödinger. Über den Comptoneffect.
Annalen der Physik.  IV. Folge,  62
Ervin Schrödinger
[1]. W. Gordon.   Ztsehr. f. Phys. 40. S. 117. 192G.
        Hr. Gordon war so freundlich, mir Einsicht in sein Manuskript zu gewähren, wodurch ich zu der folgenden einfachen Darstellung geführt wurde, die in nuce auch Hrn. Gordons Behandlung zugrunde liegt.
[2]. L. Brillouin.  Annales de Phys. 17. S. 88. 1923.
[3]. E. Schrödinger.  Physik. Zeitschr. 35. 89. 1924.
[4].
0. Klein. Zeitschr. f. Phys. Sf. S. 896. 1926;
E. Schrödinger. Ann. d. Phys. 81. S. 109. 1926;
V.Pock. Zeitschr. f.
Phys. 38. S. 242. 1926;
Th. De Donder u. H. van den Dungen.  Compt. rend.,       5. Juli 1926;
L. de Broglie.  Compt. rend., 26. Juli 1926;
J. Kudar, Ann. der Physik 81. S. 632. 1926;
W. Gordon, a. a. 0.
[5].  Die relativistische Verfeinerung dieses Ansatzes (W. Gordon, a. a, 0.) ändert in unserem Falle nichts.
[6]. Das Vorzeichen ist von geringem Belang, da es lediglieh die Bolle der beiden vf-Wellen vertauscht.
[7].  Das Vorzeichen vou  D in (6)  ist von geringem Belang, da es lediglieh die Rolle der beiden Lichtwellen vertauscht.
  

Nach der Wellentheorie des Lichtes lassen sich bekanntlich alle Änderungen der Frequenz und der Wellennormale auf Grund sehr einfacher und allgemeiner Betrachtungen über die Phase vorhersagen, ohne auf irgendwelche Details des Vorgangs einzugehen. Ich denke an Überlegungen von der folgenden Art: eine Lichtwelle mit der Phase
  2πν [t – (n/c) αx + ßy+ γz)]
falle aus der Richtung der positiven z auf die zy-Ebene, welche die Trennungsfläche zweier Medien mit den Brechungsindizes n (für z > 0) und n' (für z < 0) bilde. Setzt man die gebrochene Welle an mit der Phase
2πν' [t – (n'/c)( α'x + ß'y+ γ'z)+δ]
und verlangt für  z = 0  eine konstante, das heißt von x, y, t   unabhängige Phasendifferenz, so ergibt sich
v' = v,     n'α' = n α ,     ri ß' = n ß
d. h. die Snelliussehen Brechungsgesetze.
 
Die Schlußweise, ist so allgemein, daß sie z. B. unverändert auch für Kristalle gilt. Sie ist auch ohne weiteres auf bewegte Trennungsflächen übertragbar. Ein detaillierteres Eingehen auf den elektromagnetischen Vorgang wird immer erst nötig, wenn man sich auch für die Intensitäten interessiert (Fresnelsche Reflexions-formeln).
 
Wenn nun die Vermutung zutrifft, daß wir in den de Broglieschen Wellen ein der Wellenoptik ebenbürtiges Mittel in der Hand haben zur Beherrschung derjenigen Vorgänge, die früher ausschließlich als Korpuskelbewegungen aufgefaßt worden waren, so ist zu erwarten und zu fordern, daß wir auf Grund ganz einfacher Phasenbetrachtungen von der oben angeführten Art die beim Comptoneffekt auftretende Eichtlings- und Frequenzänderung der Ätherwelle in ihrem Zusammenhang mit der Geschwindigkeitsänderulig des Elektrons verständlich machen können. Denn auch die letztere ist ja nach de Broglies Auffassung besehreibbar als Richtungs- und Frequenzänderung einer Welle, nämlich einer de Broglie-Welle. Ein genaueres Eingehen auf die Wellenmechanik des Vorganges, wie  W. G o r d o n  [1]  es kürzlich mit vollem Erfolg durchgeführt hat, wird erst zur Bestimmung der Intensitäten nötig sein. Da letztere nun ziemlich langwierig und verwickelt ist, dürfte die im folgenden mitgeteilte einfache und anschauliche Betrachtung, die alles außer der Intensität liefert, immerhin ganz erwünscht sein.
 
Wir knüpfen an ein Resultat der klassischen Optik an. „Wenn in einem durchsichtigen, homogenen, isotropen Medium, dessen Brechungsindex von seiner Dichte abhängt, ein Lichtstrahl von der Wellenlänge X eine Kompressionswelle (Schallwelle) von der Wellenlänge A kreuzt, so wird, wie  L. B r i l l o u i n  [2]  durch rein klassische Rechnung gezeigt hat; der Lichtstrahl an den Schallwellenebenen teilweise regulär reflektiert, wofern zwischen den beiden Wellenlängen und dem Glanzwinkel ß die aus der Theorie der Röntgenstrahlreflexion wohlbekannte Braggsche Beziehung
(1)                    2A sin θ = λ
für Reflexion erster Ordnung ( =λ, nicht  = k λ) besteht. Dies ist angenähert gesprochen, sofern man die Lichtgeschwindigkeit als sehr groß ansehen kann gegen die Schallgeschwindigkeit. Genauer gesagt verhält es sich wie an einem bewegten Spiegel: der Reflexionswinkel ist dem Einfallswinkel nicht genau gleich, der Lichtstrahl erleidet Dopplerverschiebung, und auch (1) ist so zu korrigieren, wie es für einen bewegten Kristall der Fall wäre".
 
Diese Sätze sind einer älteren Arbeit entnommen  [3] , in welcher sodann mit Befriedigung festgestellt wird, daß das Brillouinsche Resultat sich auch aus der Annahme eines quantenhaften Energie- und Impulsaustausches zwischen den beiden Wellen gewinnen läßt. Man war damals eben der Meinung, daß unsere ganze Naturerklärung ia letzter Linie auf solchen Quantenbilanzen aufbauen müsse und freute sich jedesmal, wenn ein vertrauenswürdiges klassisches Resultat sich mühelos von der alten auf die neue Basis herüberschieben ließ. Wir gehen jetzt sozusagen  den umgekehrten Weg. Wir zeigen, daß sich in enger Anlehnung an das oben genannte Brillouinsche Resultat eine wellenmechanische Deutung der Oomptonschen Beziehungen geben läßt, welche nicht minder einfach ist als die quantenmäßige Impuls-Energiebetrachtung. 
   
Eine ebene Sinuswelle
(2)  ψ ~ exp(2πi/h)[hνt (h/c) (αx + ßy+ γz) √(ν² νo²)
wobei 
      α²+ ß² + γ² = 1,     vo = moc²/h
(mo= Ruhmasse des Elektrons, h = Planckkonstante, c = Lichtgeschwindigkeit),
genügt im feldfreien Raum der in letzter Zeit von vielen Seiten [4] aufgestellten relativistischen ψ -Wellengleichung:
 
∆ψ – (1/c²)(d2ψ/dt²) – (4πvo²/c²) ψ = 0
 
und gehört nach de Broglie zu einem Elektron, das mit der Energie hv in der Richtung a, ß, γ  bewegt ist. Daraus errechnet man in bekannter Weise, daß
hv/c,      α(h/c)√(ν² νo²),         β(h/c)√(ν² νo²),          γ(h/c)√(ν² νo²),  
der Vierervektor „Energie-Impuls" des korrespondierenden Elektrons ist. Vom Standpunkt der Welle wollen wir ihn als „Vierervektor Ausbreitung“  bezeichnen, und zwar wollen wir mit diesem Ausdruck belegen die Koeffizienten von ct, – x, –y, –z  in der-Phase  (uach Ablösung des Faktors 2π/h)   f ür eine ganz beliebige ebene Sinuswelle, sei es ψ-Welle, sei es Ätherwelle, sei es sonst etwas. „Ausbreitung" ist also ein rein wellen-kinematischer Begriff und hat die Komponenten
 
(3)     (h/c)Frequenz,   hα/Wellenlänge, /Wellenlänge,   hγ/Wellenlänge
 
    wenn a, ß, γ die Richtungskosinus der Wellennormale. Für eine Ätherwelle fällen diese Größen ebenfalls mit den quantentheoretischen Werten von Energie und Impuls zusammen. Doch sollen diese Hinweise auf Quantengrößen nur dazu dienen, uns hinterdrein die Identifizierung unseres Resultats mit dem Comptonsehen zu erleichtern – wir operieren mit dem rein wellenkinematischen Begriff (3) der Ausbreitung.  Unter dem  Dreiervektor Ausbreitung verstehen wir natürlich die Projektion auf den Raum, d. b. den Vektor (3) unter Fortlassung der ersten Komponente.
 
Nach der bisher stets bewährten Hypothese der Wellenmechanik kommt nun nicht der  ψ -Funktion selbst, sondern dem Quadrat ihres Absolutbetrages physikalische Bedeutung zu, und zwar die Bedeutung: Dichte der Elektrizität [5].  Eine einzelne ψ-Welle vom Typus (2) erzeugt also eine räumlich, und zeitlich konstante Dichteverteilung. Superponieren wir jedoch deren zwei – die Konstanten der zweiten seien v', α',  β',  γ' – so erkennt man leicht, daß durch ihr Zusammenwirken eine ,,Welle elektrischer Dichte" entsteht mit einem Ausbreitungsvektor, welcher die Vektordifferenz der Ausbreitungsvektoren der beiden konstituierenden ψ-Wellen ist. Nennen wir die letzteren Vektoren symbolisch A, A', so ist also derjenige der Dichtewelle [6]
 
(4)                   D = A - A'
 
Diese Dichteicelh ist es nun, welche an die Stelle der Schallwelle bei Brillouin tritt. Wenn wir die Annahme machen, daß an ihre eine Lichtwelle als an einem bewegten Spiegel, jedoch unter Erfüllung des Braggschen Gesetzes, gespiegelt wird, dann stehen, wie wir zeigen werden, unsere vier Wellen: die beiden ψ -Wellen A und A' und die einfallende und die gespiegelte Lichtwelle genau in der Comp ton sehen Beziehung. Der Unterschied gegenüber dem Brillouinschen Fall der Reflexion an einer Schallwelle ist'nur ein quantitativer, sofern die Geschwindigkeit unserer Dichtewelle D im allgemeinen nicht klein ist gegen die Lichtgeschwindigkeit; vielmehr können beliebige Werte bis zur Lichtgeschwindigkeit auftreten (aber niemals Überlichtgeschwindigkeit, was man leicht nachrechnet).
 
Der Beweis unserer Behauptung ist leicht zu erbringen. Wir brauchen nämlich gar nicht wirklich die Reflexion am bewegten Spiegel zu untersuchen. Da alle vier Wellen und natürlich auch ihre Ausbreitungsvektoren gegen Lorentztrans-formation invariant sind, können wir durch eine solche die Dichte welle auf Ruhe transformieren. Die erste (zeitliche) Komponente ihres Ausbreitungsvektors wird dann Null. Ferner ändern sich dann Frequenz (und Wellenlänge) der Lichtwelle bei der Reflexion nicht, d. h. die zeitliche Komponente ihres Ausbreitungsvektors bleibt bei der Reflexion ungeändert. Endlich gilt die Braggsche Beziehung genau in der Form (1), wenn λ die Wellenlänge der Lichtwelle, A diejenige der Dichtewelle, θ den Glanzwinkel bezeichnet. Sie läßt sich in die Gestalt bringen:
 
(5)             (2h/λ) sin θ = h/A
 
welche wir durch beistehende Fig. 1 erläutern, in der auch die Gleichheit des Reflexionswinkels mit dem Einfallswinkel berücksichtigt ist.
 
(5) drückt also aus, daß der Dreiervektor der einfallenden Lichtwelle, vermehrt um den Dreiervektor von D, gleich dem Dreiervektor der reflektierten Lichtwelle ist. Die analoge Beziehung gilt aber nach dem oben Gesagten auch für die zeitlichen Komponenten: diese ist ja Null  für  und bleibt  ungeändert  für die Lichtwelle bei der Reflexion. Nennen wir L bzw. L'  die Yierervektoren Ausbreitung für die einfallende bzw. reflektierte Lichtwelle, so können wir all das in die einzige Vierervektorgleichung zusammenfassen [7]
(6)                L + D = L'
welche nun für ein beliebiges vierdimensionales Koordinatensystem Geltung haben muß.   Mit (4) kombiniert ergibt sie
(7)               L + A = L' + A'
Mit Rücksicht auf die Bedeutung der Komponenten von L,L'  nach der Lichtquantenauffassung und derjenigen von A, Ä nach der de Broglieschen Zuordnung von ψ -Wellen zu Elektronen stimmt Gleichung (7) genau mit dem Ansatz der Compton sehen Energieimpulstheorie des Comptoneffekts überein.
 
Ganz interessant ist es, die volle Reziprozität zwischen  den  ψ -Wellen einerseits und den Lichtwellen anderseits zu beachten. Die Erscheinung ließe sich ganz ebensogut auffassen als Braggsche Reflexion einer Welle an dem von zwei sich kreuzenden Lichtwellen erzeugten System vou Interferenzfransen. In dem oben benützten ausgezeichneten Koordinatensystem ruht dasselbe und ist identisch mit 0. Wieners System stehender Lichtwellen. Die Beziehungen (4) und (6) sagen aus, daß das Interferenzfransensystem, und  die Dichtewelle koinzidieren, beide haben den Ausbreitungsvektor D. Das ausgezeichnete Koordinatensystem ist genau dasjenige, welches  W. P a u l i [8] einmal zum Studium des Comptoneffekts als das bequemste befunden hat.
 
  Fig. 2 versucht die Beziehungen zwischen den einander durchdringenden vier Wellenfronten und der gemeinsamen stehenden Welle (gestrichelt) in dem ausgezeichneten Eaum-zeitsystem zur Darstellung zu bringen. Um das Bild nicht zu verwirren, sind die zwei Lichtwellenfronten nur in der linken, die zwei  ψ-Wellenfronten nur in der rechten Hälfte eingezeichnet. Die Pfeile deuten die Fortschreitungsrichtung derjenigen Wellenfront an, auf welcher sie senkrecht stehen. Ihre Länge hat keine Bedeutung. Man wolle sie in Gedanken durch Parallelverschiebung in die Mitte der Figur zusammen rücken, so daß die Federn von  L'  und  A'  mit den Spitzen von L und in einem Punkt zusammenstoßen. — Die Braggsche Beziehung (1) ist für jedes der beiden Wellenpaare (L, L')  und (A, A') in ihrem Verhältnis zur stehenden Welle als „Kristall" leicht aus der Figur abzulesen. Man kann also sagen:
 
    Die Richtungs- und Frequenzgesetze des Comptoneffektes sind vollkommen gleichbedeutend mit der Aussage, daß das beteiligte Lichtwellenpaar und das beteiligte ψ-Weilenpaar zu einer und de selben „Netzebenenschar" in der (auf  bewegten Kristall verallgemeinerten) Braggsehen Beziehung  für  Reflexion erster Ordnung stehen; wobei jene gedachte Netzebenenschar von vornherein beliebige Stellung, beliebigen Ebenenabstand und beliebige translatorische Unterlichtgeschwindigkeit haben kann.
 
Einem begrifflichen Einwand möchte ich noch begegnen. Man könnte sagen: ja aber, das primär Gegebene beim Comptoneffekt ist doch eine Lichtwelle nnd ein in bestimmter Weise bewegtes Elektron, also, sagen wir, eine ψ-Welle; wo kommt denn zunächst einmal die  zweite, passend ausgesuchte  ψ-Welle  her, welche mit der vorgegebenen zusammen einen passenden „Braggschen Spiegel" für die vorgegebene Lichtwelle bilde?
 
— Darauf ist zu erwidern, daß zur Beantwortung solcher Fragen solch einfache Phasenüberlegungen, wie wir sie hier angestellt haben, natürlich absolut nicht hinreichen können. Wir studieren damit sozusagen das Comptonphänomen in stationärem Betrieb, wobei beständig die primäre Welle cLer einen Art durch Beflexion an dem Interferenzfransensystem der anderen Art in sekundäre Welle umgesefzt wird und vice-versa. Wir verfahren ganz genau so bei den analogen Überlegungen in der Optik, sogar dann, wenn wir dieselben viel genauer an Hand einer detaillierteren Theorie studieren. Auch da untersuchen wir im allgemeinen nicht das erstmalige Auftreten z. B.. einer reflektierten und einer gebrochenen Welle am Wellenkopf der Primärwelle, sondern wir machen einen Ansatz rjicht bloß für die einfallende, sondern ebenso für alle anderen Wellen, deren Auftreten sich voraussehen läßt, und versuchen durch diesen Ansatz einen stationären Zustand darzustellen, welcher allen zu stellenden Anforderungen genügt
Zürich, Physikalisches Institut der Universität.
 
      (Eingegangen am 30, November 1926)